Ist die Entfernung multimedialer Inhalte von internationalen Social-Media-Plattformen – insbesondere YouTube, Google, Facebook, TikTok, Twitter – gegenüber in der Schweiz ansässigen Nutzern unter anderem unter Anwendung ihrer Community-Regeln (sogenannte Community Rules) mit den Art. 16 und 17 BV i.V.m. Art. 35 Abs. 3 BV (SR 101) über die Meinungs- und Informationsfreiheit sowie die Medienfreiheit vereinbar, insbesondere mit Art. 16 Abs. 2 BV (Recht auf freie Meinungsbildung und deren ungehinderte Äusserung und Verbreitung) sowie mit Art. 17 Abs. 2 BV (Zensurverbot)?Gibt es in der Schweiz ausdrückliche gesetzliche Grundlagen im Sinne von Art. 36 BV, die es internationalen Social-Media-Plattformen erlauben, multimediale Inhalte gegenüber in der Schweiz ansässigen Nutzern zu entfernen? Wenn ja, welche?Gibt es in der Schweiz ausdrückliche gesetzliche Grundlagen im Sinne von Art. 36 BV, die es internationalen Social-Media-Plattformen erlauben, multimediale Inhalte gegenüber in der Schweiz ansässigen Autoren zu entfernen? Wenn ja, welche?Gibt es in der Schweiz besondere Schutzmassnahmen, um sicherzustellen, dass die politische Debatte frei und offen bleibt, insbesondere wenn die Autoren der multimedialen Inhalte, die auf internationalen Social-Media-Plattformen verbreitet werden, politische Parteien sind oder wenn diese Inhalte im Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung zu politischen Themen, wie zum Beispiel Volksabstimmungen, erstellt werden?Bestätigt der Bundesrat, dass die einzigen zuständigen Behörden für die Entfernung multimedialer Inhalte von internationalen Social-Media-Plattformen gegenüber in der Schweiz ansässigen Nutzern die Bundesanwaltschaft beziehungsweise die kantonalen Staatsanwaltschaften sind, namentlich bei Ehrverletzungsdelikten wie übler Nachrede oder Verleumdung? Wenn nein, welche?Im Falle von Einschränkungen der Grundrechte gegenüber in der Schweiz ansässigen Nutzern, sind Sanktionen gegen die internationalen Social-Media-Plattformen denkbar, namentlich deren Sperrung in der Schweiz oder eventuelle Geldstrafen?Gelten für schweizerische Social-Media-Plattformen dieselben Grundsätze? Gibt es Unterschiede in der Anwendung in Abhängigkeit vom Wohnsitz des Plattforminhabers beziehungsweise dem Standort der IT-Infrastruktur, namentlich der Server wie im Fall von Cloud-Infrastrukturen?
Grund des Vorstosses:
Antwort des Bundesrates:
1. – 4. Das Verhältnis zwischen den Betreiberinnen von Social-Media-Plattformen und den Nutzenden ist privatrechtlicher Natur. Durch die Registrierung bei einer solchen Plattform kommt ein Vertrag zustande. Die Community-Regeln sind in der Regel Teil der allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), denen die Nutzenden bei der Registrierung zustimmen müssen. Sie werden dadurch Teil des Vertrages. In diesen Regeln definieren die Betreiberinnen regelmässig auch Inhalte, die sie auf ihren Plattformen nicht akzeptieren (z. B. Hassrede oder anstössige Inhalte). Zudem werden in den AGB Sanktionen in Aussicht gestellt, die beispielsweise in Form von Löschungen von Posts oder einer Sperrung des Accounts ausgesprochen werden können. Soweit Schweizer Recht anwendbar ist, kann der Inhalt des Vertrages innerhalb der Schranken des Gesetzes beliebig festgelegt werden (Art. 19 Abs. 1 des Obligationenrechts, OR; SR 220); es gilt das Prinzip der Vertragsfreiheit.Zu beachten ist, dass sich die Plattform-Betreiberinnen unter Umständen selber zivil- oder strafrechtlich verantwortlich machen könnten, wenn sie rechtswidrige Inhalte verbreiten (vgl. Berichte des Bundesrates «Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit von Providern» vom 11. Dezember 2015 <https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/publiservice/publikationen/berichte-gutachten/2015-12-11.html>, Ziff. 7.2 und «Ergänzungen betreffend Cybermobbing im Strafgesetzbuch» 19. Oktober 2022 in Erfüllung des Postulats 21.3969, Ziff. 4.3). Eine Entfernung bestimmter Inhalte ist Plattform-Betreiberinnen unabhängig von ihrem Sitz in solchen Konstellationen nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten.Nach Artikel 35 Absatz 2 der Bundesverfassung (BV: SR 101) ist nur direkt an die Grundrechte gebunden, wer staatliche Aufgaben erfüllt. Dies ist bei Social Media nicht der Fall, d.h. die Betreiberinnen müssen sich in ihrem Verhalten nicht an die Eingriffsvoraussetzungen von Artikel 36 BV halten. Die Betreiberinnen von Plattformen können sich für ihre Tätigkeit selbst auf verschiedene Grundrechte berufen (Wirtschaftsfreiheit nach Art. 27 BV sowie Meinungs- und Medienfreiheit nach Art. 16 und 17 BV) und werden dadurch vor Eingriffen durch den Staat geschützt.Wer sich gegen Social Media wegen einer Löschung von Inhalten oder einer Sperrung des Accounts zur Wehr setzen will, kann allenfalls den privatrechtlichen Weg beschreiten. In einem Rechtsstreit haben die Zivilgerichte auch die Grundrechte der Nutzenden (indirekt) zu berücksichtigen: Artikel 35 Absatz 3 BV verlangt, dass die Behörden, d.h. auch Zivilgerichte, „dafür sorgen, dass die Grundrechte, soweit sie sich dazu eignen, auch unter Privaten wirksam werden.“ Bei der Auslegung von Rechtsnormen und Vertragsbestimmungen werden also auch die Grundrechte einbezogen. Vor diesem Hintergrund müssen sich Social-Media-Anbieterinnen bei ihrem Verhalten auf sachliche Gründe stützen und die Grundrechte der Nutzenden mitberücksichtigen. 5. – 7. Für die Anordnung der Entfernung von allenfalls ehrverletzenden Inhalten sind die Zivilgerichte (z.B. im Rahmen von Klagen wegen Persönlichkeitsverletzung gemäss Art. 28 des Zivilgesetzbuchs, ZGB: SR 210) sowie die Strafbehörden zuständig. Liegt ein rechtskräftiger Entscheid vor, so kommen privatrechtliche und strafrechtliche Instrumente für die Entfernung der rechtswidrigen Inhalte (Takedown) in Betracht (vgl. dazu den Bericht «Ergänzungen betreffend Cybermobbing im Strafgesetzbuch» vom 19. Oktober 2022 in Erfüllung des Postulats 21.3969, Ziff. 4.4). Überdies kann der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) bei genügenden Anzeichen für einen Verstoss gegen Datenschutzvorschriften eine Untersuchung eröffnen und anschliessend die Entfernung von Personendaten aus der Social-Media-Plattform verfügen (Art. 49 Datenschutzgesetz, DSG, SR 235.1). Soweit Schweizer Recht anwendbar ist, gilt es für alle Plattformbetreiberinnen gleichermassen, unabhängig von ihrem Sitz. Die grenzüberschreitende Rechtsdurchsetzung ist jedoch bisweilen mit grossen praktischen Schwierigkeiten verbunden. Die Schweiz ist deshalb bemüht, den Abschluss von internationalen Übereinkommen, zurzeit namentlich im Kontext der Vereinten Nationen, voranzutreiben und die darauf basierende Zusammenarbeit zu stärken. Überdies wird der Bundesrat bis Ende Jahr einen Vorentwurf für eine gesetzliche Regulierung von grossen Kommunikationsplattformen in die Vernehmlassung geben. Unter anderem sollen Nutzende, deren Inhalte gelöscht oder deren Konto gesperrt wurde, bei der Plattform eine Überprüfung der getroffenen Massnahme verlangen können.