Der Bundesrat wird beauftragt, das BGG dahingehend zu ergänzen, dass eine Beschwerde des SEM immer zulässig ist, unabhängig davon, ob es sich um eine Ermessensbewilligung oder eine Anspruchsbewilligung handelt (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG).
Grund des Vorstosses:
Das Zustimmungsverfahren (Art. 99 AIG) gibt dem SEM ein Aufsichts- und Vetorecht bei der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen durch kantonalen Ausländerbehörden. Ende 2018 hat das Parlament – in Korrektur von BGE 141 II 169 – gesetzlich festgelegt, dass das SEM davon auch dann Gebrauch machen kann, wenn eine kantonale Beschwerdeinstanz entschieden hat. Für eine einheitliche Anwendung des Migrationsrechts ist Art. 99 AIG von zentraler Bedeutung. Das Beschwerderecht, das dem SEM in gewissen Konstellationen gegen kantonale Beschwerdeentscheide zusteht, vermag das Zustimmungsverfahren nicht zu ersetzen: Zum einen kann das SEM nur dann ans Bundesgericht gelangen, wenn Anspruchsbewilligungen in Frage stehen, nicht aber bei Ermessensbewilligungen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Zum anderen können neue Entwicklungen vor Bundesgericht nicht mehr berücksichtigt werden (Art. 99 BGG; anders im Zustimmungsverfahren). Das Bundesverwaltungsgericht hat nun entschieden, Art. 99 Abs. 2 AIG widerspreche der Gewaltenteilung (F-2182/2021). Weil das Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung nicht genügt hätte, um Art. 99 Abs. 2 AIG die Anwendung zu versagen (Art. 190 BV), hat es – dogmatisch kaum tragfähig – postuliert, das Prinzip der Gewaltenteilung ergebe sich (auch) aus Art. 13 EMRK. Abgesehen davon, dass das Urteil ein weiteres Beispiel für eine übergriffige Rechtsprechung ist, schwächt es die Aufsichtsfunktion des SEM erheblich. Wo Anspruchsbewilligungen in Frage stehen, muss es innert 30 Tagen ans Bundesgericht gelangen. Problematisch sind nicht nur die kurze Handlungsfrist und das Novenrecht vor Bundesgericht, sondern vor allem der Umstand, dass oft nicht klar ist, ob ein Anspruch besteht oder nicht. Das SEM wird künftig wegen dieser unklaren Abgrenzungsfrage oft gezwungen sein, gleichzeitig Beschwerde- und Zustimmungsverfahren in die Wege zu leiten, um eine lückenlose Aufsicht sicherzustellen. Dies ist ineffizient und schafft erhebliche Rechtsunsicherheit. Mit der beantragten Änderung wird die Bundesaufsicht des SEM gleich gehandhabt wie diejenige der ESTV im Steuerrecht; es lässt sich also an Bestehendes anknüpfen.
Antwort des Bundesrates:
Im Gegensatz zu den vorinstanzlichen Gerichten beschäftigt sich das Bundesgericht in der Regel nicht mit Sachverhalts- und Ermessensfragen. Die Prüfung ist auf Rechtsfragen begrenzt (Art. 95 ff. und Art. 116 des Bundesgerichtsgesetzes; SR 173.110; BGG). Die Beschwerde gegen einen Entscheid von vorinstanzlichen Gerichten ist innert 30 Tagen beim Bundesgericht einzureichen (Art. 100 Abs. 1 BGG). Im Zustimmungsverfahren (Art. 99 des Ausländer- und Integrationsgesetzes; SR 142.20; AIG) gibt es keine Beschränkungen hinsichtlich der Eingabefrist oder in Bezug auf Sachverhalts- und Ermessensfragen. Es besteht keine Notwendigkeit für das Staatssekretariat für Migration (SEM), eine Beschwerde an das Bundesgericht zu erheben und gleichzeitig auch die Zustimmung zur Bewilligung zu verweigern. Aus den Entscheiden der obersten kantonalen Beschwerdeinstanzen geht eindeutig hervor, ob es sich um eine Ermessensbewilligung oder um oder eine Anspruchsbewilligung handelt. Unklare Abgrenzungsfragen wurden daher in der Praxis noch nie festgestellt. Aus diesen Gründen ist das Zustimmungsverfahren einer Beschwerde an das Bundesgericht vorzuziehen, um die ausländerrechtliche Bundesaufsicht in der gesamten Schweiz zu gewährleisten. Die Möglichkeit einer Beschwerde an das Bundesgericht auch im Fall einer Ermessensbewilligung ist daher nicht erforderlich und sie würde zudem zu einer zusätzlichen Belastung des Bundesgerichts und des SEM führen. Schliesslich erlaubt der zitierte Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts weiterhin die Durchführung des Zustimmungsverfahrens durch das SEM bei Entscheiden der zuständigen Behörden und von unteren kantonalen Beschwerdeinstanzen. Der Revisionsentwurf aus dem Jahr 2018 zum BGG sah eine umfassende Revision der Ausnahmen zum Ausländerrecht vor (Art. 83 Bst. c BGG; BBl 2018 4605). Dieser fand in der Bundesversammlung jedoch keine Mehrheit. Der Bericht des Bundesrates vom 24. Januar 2024 in Erfüllung des Postulates Caroni (20.4399 «Revisionsbedarf Bundesgerichtsgesetz») kommt zum Schluss, dass eine Änderung von Artikel 83 Buchstabe c BGG nur als Gesamtkonzept sinnvoll und politisch mehrheitsfähig wäre. Bereits der Revisionsentwurf aus dem Jahr 2018 führte zu mehreren Minderheitsanträgen und Debatten im Nationalrat (AB 2019 N 279 f).Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.