24.4683Interpellation
Per Fragebogen zum Asyl. Reicht die Beantwortung von sieben Fragen, um den gesetzlich vorgeschriebenen Nachweis der Flüchtlingseigenschaft zu erbringen?

Grund des Vorstosses:

Das Gesetz regelt klipp und klar, wie der Nachweis der Flüchtlingseigenschaft zu erbringen ist: Wer um Asyl ersucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest (mit überwiegender Wahrscheinlichkeit) glaubhaft machen (Art. 7 AsylG).

Die Anzeichen verdichten sich, dass Art. 7 AsylG bei Afghaninnen nicht korrekt angewandt wird.

Seit einer Praxisänderung bekommen fast alle Afghaninnen Asyl. Bundesrat Jans versicherte jedoch stets, jeder Fall werde trotz der Anerkennungsquote von 98% individuell geprüft: «Dass es aber immer noch Einzelfallprüfungen gibt, zeigt die Tatsache, dass etwa 2% der Asylgesuche nicht entsprochen wird.» (24.7428) Auch am 27.05.2024 bestätigte er: «Diese Praxisänderung hat aber keineswegs einen Automatismus zur Folge. Ich kann Ihnen versichern, dass das SEM nach wie vor jedes Asylgesuch einer afghanischen Frau oder eines afghanischen Mädchens einzeln prüft.» (23.4241)

Am 10.12.2024 deckte die NZZ auf, dass Afghaninnen lediglich einen Fragebogen ausfüllen müssen, ohne dass sie persönlich befragt werden.

Nun brachte eine Recherche des Nebelspalters vom 19.12.2024 den (fragwürdigen) Fragebogen ans Licht: Sieben Fragen reichen dem SEM, um über die Gesuche von Afghaninnen zu entscheiden.

Antwort des Bundesrates:

1./2. Wie der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 21. August 2024 zur Motion 24.3658 Glarner «Psychischer Druck ist kein Asylgrund» festgehalten hat, bezeichnet die Asylgewährungsquote den Anteil der Asylgewährungen am Total aller Entscheide (Asylgewährungen und -ablehnungen sowie Nichteintretensentscheide). Die Asylgewährungsquote betreffend Afghaninnen liegt seit der Praxisänderung für Frauen und Mädchen aus Afghanistan vom Juli 2023 bei durchschnittlich 74%. Dies zeigt, dass auch nach der Praxisänderung jedes Gesuch einer Einzelfallfallprüfung unterzogen wird. Dabei prüft das Staatssekretariat für Migration (SEM) bei jedem Gesuch individuell, ob die Flüchtlingseigenschaft glaubhaft gemacht wurde (Art. 7 des Asylgesetzes [AsylG; SR 142.31]).

 

3. Jede Afghanin, die neu in die Schweiz einreist und ein Asylgesuch stellt, wird persönlich und umfassend zu ihren individuellen Asylgründen angehört. Ausgenommen sind die Dublin-Verfahren. Bei allen in der Schweiz anwesenden Afghaninnen, die aufgrund der Praxisänderung ein Zweitgesuch stellen, führt das SEM ein individuelles Folgeverfahren durch. Das Gesuch muss wie für alle anderen Herkunftsländer schriftlich eingereicht werden und begründet sein (vgl. Art. 111c Abs. 1 AsylG). Zur Erstellung des Sachverhaltes kann auch in den schriftlichen Folgeverfahren eine persönliche Anhörung durchgeführt werden, wenn dies erforderlich ist.

 

4./5./7. Der Fragebogen allein reicht für eine Anerkennung als Flüchtling nicht aus. Er ist neben weiteren Instruktionsmassnahmen ein Element, welches insbesondere für die Sicherheitsprüfung bei den schriftlichen Folgeverfahren von afghanischen Personen relevant ist. Deshalb gibt es keinen vergleichbaren Fragebogen für andere Herkunftsländer. Das SEM prüft auch im schriftlichen Folgeverfahren individuell, ob die Flüchtlingseigenschaft erfüllt wird. Bei der Beurteilung, ob der Fragebogen persönlich und wahrheitsgetreu ausgefüllt worden ist, gilt der gleiche Massstab wie bei allen Instruktionsmassnahmen im Asylbereich: Der Sachverhalt ist nachzuweisen oder zumindest glaubhaft zu machen.

 

6. Wie viele der bewilligten Einreisen auf Mitglieder der Kernfamilie einer Afghanin entfallen, die aufgrund der Praxisänderung als Flüchtling anerkannt wurde, kann statistisch nicht aufgeschlüsselt werden, da die Gründe, die zur Anerkennung als Flüchtling geführt haben, statistisch nicht erfasst werden. Seit der Praxisänderung vom 17. Juli 2023 bis Ende November 2024 wurden im Rahmen des asylrechtlichen Familiennachzugs gemäss Art. 51 Abs. 1 und 4 AsylG Einreisegesuche von 30 erwachsenen afghanischen Männern bewilligt. Der Bund vergütet den Kantonen die Sozialhilfekosten für alle eingereisten Personen, die in der Folge Asyl erhalten haben und nicht erwerbstätig sind, während längstens fünf Jahren pauschal. Die Globalpauschale beträgt rund 1’500 Franken pro Person und Monat. Die Ausrichtung und Ausgestaltung der Sozialhilfe liegt in der kantonalen Kompetenz.

Der Bund kann für Personen, denen die Einreise in die Schweiz zwecks Durchführung eines Asylverfahrens oder im Rahmen der Familienzusammenführung bewilligt wurde, die Einreisekosten übernehmen (Art. 92 Abs. 1 AsylG, in Verbindung mit Art. 53 Bst. d Asylverordnung 2; SR 142.312). Gesuche um Übernahme der Einreisekosten werden statistisch nicht erfasst und die übernommenen Kosten lassen sich folglich auch nicht länderspezifisch aufschlüsseln. Allgemein fallen die vom Bund übernommenen Einreisekosten aus allen Herkunftsländern tief aus: Im Jahr 2023 betrugen sie knapp 50’000 Franken; im Jahr 2024 knapp 10’000 Franken.

 

8. Der Bundesrat ist sich bewusst, dass die Schweiz weder an das Asylrecht der Europäischen Union (EU) noch an die Urteile des Gerichtshofs der EU (EuGH) gebunden ist, da sie kein Mitglied der EU ist. Obwohl das SEM die Besonderheit der Situation von afghanischen Frauen und Mädchen anerkennt, hat es Asylgesuche von afghanischen Frauen und Mädchen seit jeher individuell geprüft und tut dies auch weiterhin. Das SEM geht bei der Prüfung der Asylgesuche von Afghaninnen also strenger vor als der EuGH, welcher eine individuelle Prüfung der drohenden Verfolgung für die Asylgewährung nicht als notwendig erachtet.

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