Wir sind uns hier im Rat sicher alle einig, dass die Heiratsstrafe ungerecht ist. Es ist ja eigentlich unsäglich, dass sie auf Bundesebene noch immer nicht abgeschafft ist. Die nun vorgeschlagene Individualbesteuerung scheint, jedenfalls auf den ersten Blick, eine gerechte Lösung zu sein. Doch bei genauerem Hinschauen zeigt sich: Der Schein trügt. Individualbesteuerung und Abschaffung der Heiratsstrafe haben nichts miteinander zu tun. Die [PAGE 1583] Heiratsstrafe kann problemlos ohne Individualbesteuerung abgeschafft werden. Die Kantone beweisen das, seit Jahren. Sie haben längst die Hausaufgaben gemacht, nur der Bund hat dies nicht getan. Der Bund könnte die kantonalen Lösungen, die Splitting-Verfahren, einfach übernehmen. Das wäre viel einfacher, als mit der Individualbesteuerung das ganze System auf den Kopf zu stellen und vor allem die Kantone zu nötigen, ihre bewährten Lösungen aufzugeben.
Die Individualbesteuerung bringt grosse Nachteile:
1.[NB]Die Individualbesteuerung benachteiligt Familien, in denen nur ein Partner arbeitet. Besonders Einverdienerfamilien mit Kindern, also traditionelle Familienmodelle, kommen unter die Räder. Ist es denn gerecht, Familien zu bestrafen, die sich dafür entscheiden, dass ein Elternteil zuhause bleibt, um die Kinder zu betreuen? Nein. Wir dürfen nicht Ungerechtigkeiten beseitigen, indem wir neue Ungerechtigkeiten schaffen.
2.[NB]Ein Systemwechsel führt zu mehr Bürokratie für uns alle. Ehepaare müssen künftig zwei Steuererklärungen abgeben. Stellen Sie sich den zusätzlichen Aufwand vor, nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, sondern auch für die Steuerbehörden auf allen Ebenen. Die Kantone müssen ihre Systeme, die sie nun eingerichtet haben, komplett umstellen. Das dauert Jahre und verursacht enorme Kosten. Das trifft am Ende uns alle.
3.[NB]Ein Systemwechsel verursacht rund eine Milliarde Franken an Steuerausfällen pro Jahr. Eine Milliarde Franken, die fehlt, zumal das Geld ja jetzt schon fehlt und sich dieses Parlament hier drin äusserst schwertut, auch nur ein bisschen zu sparen. Unser Land steht vor grossen Herausforderungen finanzieller Art. Denken wir an die Landesverteidigung. Die zusätzlichen Steuerausfälle, die da kommen, müssen irgendwo kompensiert werden, entweder durch Einsparungen oder durch Steuererhöhungen. Auch das trifft uns alle. Dass ausgerechnet die Linke für eine Vorlage kämpft, die Steuerausfälle mit sich bringt, ist erstaunlich. Und dass die FDP für eine Vorlage kämpft, die einen administrativen Zusatzaufwand für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land bringt, ist ebenfalls erstaunlich.
Am Ende, unter dem Strich, bringt die Individualbesteuerung nicht mehr Gerechtigkeit. Sie schafft vielmehr neue Ungerechtigkeiten. Sie belastet traditionelle Familien. Sie bläht die Verwaltung weiter auf, und sie kostet Milliarden Franken.
Die SVP-Fraktion ist klar für die Abschaffung der Heiratsstrafe, aber nicht so. Der eingeschlagene Weg ist richtig, aber das gewählte Mittel ist falsch. Man soll das Kind ja bekanntlich nicht mit dem Bade ausschütten. Wir wollen nicht Ungerechtigkeiten beseitigen, indem wir neue Ungerechtigkeiten schaffen.