“Eine Verurteilung der Schweiz ist nicht vorstellbar.” Dieses Zitat stammt von Bundesrat Graber beim Beitritt der Schweiz zur EMRK, zur Europäischen Menschenrechtskonvention, im Jahr 1974. Heute wissen wir: Falscher hätte er nicht liegen können.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg hat durchaus seine Verdienste. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es darum, den Schutz von Grundrechten durchzusetzen. Es ging um das Verbot von Folter, es ging um das Verbot der Todesstrafe, von Zwangsarbeit. Doch davon hat sich die heutige Rechtsprechung weit entfernt. Heute werden aus der EMRK Aufenthaltsrechte für illegale und kriminelle Migranten abgeleitet. Heute werden bezahlte Geschlechtsumwandlungen und Klimaschutzrechte aus den Grundrechten abgeleitet. In Strassburg ist immer mehr richterlicher Aktivismus anzutreffen. Damit entfernt sich der Gerichtshof für Menschenrechte von seiner Kernaufgabe, dem Schutz vor schweren Menschenrechtsverletzungen. Aus diesem Grund haben die Europaratsstaaten vor zwölf Jahren das 15. Zusatzprotokoll verabschiedet. Darin haben sie die Subsidiarität des Gerichtshofs in Strassburg und den Vorrang der Politik verankert.
Mehrere jüngere Urteile zeigen, dass sich der Gerichtshof in Strassburg nicht gross darum kümmert. Die Richterinnen und Richter machen dort, was sie wollen, und unser eigener Richter sticht besonders hervor. Keiner seiner Kollegen hat es geschafft, dass sein eigenes Land derart häufig verurteilt wurde. Die Spitze des Eisbergs ist das Klimaseniorinnen-Urteil. Selbst der frühere Bundesgerichtspräsident Meyer, seines Zeichens SP-Mitglied, hat es scharf kritisiert. Es gab auch weitere haarsträubende Urteile. Die “NZZ” titelte vor einem Jahr “Ein Herz für Drogenhändler”, als der Gerichtshof einem verurteilten Kriminellen ein Bleiberecht in der Schweiz verschaffte. Damit, dass es einmal so weit kommen könnte, hat in der Schweiz beim Beitritt vor fünfzig Jahren niemand gerechnet.
Die Entwicklung ist gefährlich, sie ist brandgefährlich, denn je mehr sich der EGMR in politische Fragen einmischt, desto mehr schränkt er die Spielräume der nationalen Politik ein, und über die Auslegung von Grundrechten lässt sich mit Kreativität und Fantasie jedes Gesetz aushebeln. Die Verpolitisierung schwächt auch die Demokratie und den Rechtsstaat selber, und sie erschüttert das Gefüge im auf Gewaltenteilung beruhenden Rechtsstaat. Diesen Frühling haben deshalb neun Staaten gegen diese Entwicklung in Strassburg protestiert, allen voran unser Nachbarland Italien, aber auch Dänemark und Österreich. Nur die Schweiz, den Bundesrat, sucht man vergebens. Diese Länder haben klargemacht: Wir wollen wieder mehr politische Handlungsfreiheit in den Bereichen innere Sicherheit und illegale Zuwanderung.
Die linke Seite mag heute an dieser aktivistischen Rechtsprechung Freude haben. Aber vergessen Sie nicht: Der linke Aktivismus könnte auch einmal in einen rechten Aktivismus umschlagen, und das ist das Gefährliche daran. Aktivismus hat in der Justiz nichts verloren. Richter sollen Recht anwenden, nicht Recht schaffen. Richter, die politisieren wollen, haben an den Gerichten nichts verloren, sie können jederzeit für ein Parlamentsmandat kandidieren.
Die Lösung des Problems ist nicht ganz einfach, aber mit meiner Initiative lässt es sich entschärfen. Denn wenn das Bundesgericht etwas entscheidet, das der Politik nicht passt, dann kann die Politik das Gesetz ändern. Beim EGMR geht das eben nicht so einfach, das wird verschärft durch den Revisionsautomatismus im Bundesgerichtsgesetz. Das kennt kein anderes Land. Er ist auch nicht nötig, denn Strassburg ist nicht eine vierte Instanz. Urteile des EGMR richten sich nicht an die Verfahrensparteien, sondern an die Schweiz als Vertragsstaat. Deshalb ist der Revision ein Zulassungsentscheid vorzulagern. Damit kann die Politik ein Veto einlegen, wenn Urteile nach Schweizer Auffassung Fragen betreffen, die nicht von der Justiz, sondern von der Politik zu regeln sind.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Erklärungen beider Räte zum Klimaseniorinnen-Urteil. Dort ging es genau um das. Und wenn wir heute nichts unternehmen, dann wird sich auch nichts ändern. Dann werden Parlament und Volk, das ist in der Schweiz besonders bedeutsam, immer mehr und schleichend entmachtet. Das wird immer mehr auch zu einer Gefahr für die innere Sicherheit.
Über die Migrations- und Sicherheitspolitik muss die Politik entscheiden, nicht die Justiz. Deshalb bitte ich Sie, diese parlamentarische Initiative zu unterstützen.