Der Bundesrat wird beauftragt,
- abgewiesenen afghanischen Asylsuchenden nicht mehr pauschal die vorläufige Aufnahme (VA) zu gewähren, sondern in jedem einzelnen Fall konkret zu überprüfen, ob die Wegweisung nach Afghanistan wirklich unzulässig, unmöglich oder unzumutbar ist, und dies in jedem einzelnen Fall konkret zu begründen;
- alle vorläufig aufgenommenen Afghanen sofort gezielt danach zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die VA noch erfüllt sind.
Grund des Vorstosses:
Seit vier Jahren kommen die meisten Asylsuchenden aus Afghanistan – rund 8’000 alleine 2023. Seit Jahren werden alle Afghanen unterschiedslos vorläufig aufgenommen. Die VA ist damit das «kleine Asyl» geworden. Afghaninnen erhalten seit der Praxisänderung des SEM vom 17. Juli 2023 sogar zu 98% den Flüchtlingsstatus. Von einer individuellen Prüfung kann bei dieser Quote keine Rede mehr sein.
Das SEM begründet die generelle VA aller Afghanen damit, dass ihre Wegweisung nicht zulässig, nicht möglich oder – so die Standardbegründung – nicht zumutbar sei. Dabei begründet das SEM die VA in den jeweiligen Verfügungen nie konkret auf den Einzelfall bezogen, sondern verweist in aller Regel nur generell darauf, dass die Wegweisung aufgrund der allgemeinen Umstände gegenwärtig unzumutbar sei.
Es ist unverständlich, dass das SEM alle abgewiesenen Afghanen auch heute noch pauschal vorläufig aufnimmt – und diesen Status nicht längst überprüft. Denn seit zwei Jahren gibt es in Afghanistan keinen Krieg, keinen Bürgerkrieg und keine allgemeine Gewalt mehr. Analysen der Lage vor Ort haben ergeben, dass das Leben in Afghanistan derzeit so sicher ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr (NZZ vom 12.09.2023). Die Taliban haben kurze Zeit nach ihrer Machtübernahme eine Generalamnestie für alle Personen erlassen, die mit der früheren Regierung zusammengearbeitet haben. Tausende geflüchtete Afghanen kehren seit Monaten aus der Türkei, Pakistan und dem Iran, die mit Afghanistan Rückübernahmeabkommen abgeschlossen haben, zurück in ihr Heimatland. Eine deutsche Reportage hat gar aufgedeckt, dass Tausende afghanischer «Flüchtlinge» in ihrer Heimat, in der sie angeblich verfolgt sind, Ferien machen (NZZ vom 15.08.2024).
Dennoch gewährt die Schweiz noch immer allen Afghanen unterschiedslos die vorläufige Aufnahme. Diese Praxis ist rasch zu korrigieren, und es ist zu einer konkreten Prüfung der VA-Voraussetzungen im Einzelfall zurückzukehren.
Antwort des Bundesrates:
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) ist dafür zuständig, die Gesetzgebung im Bereich des Asylwesens und die Flüchtlingskonvention (FK; SR 0.142.30) regelkonform anzuwenden. Zur Erfüllung dieses gesetzlichen Auftrags beobachtet es die Lage in Afghanistan aufmerksam, aktualisiert seine diesbezüglichen Berichte fortlaufend und nimmt bei Bedarf Anpassungen an seiner Asyl- und Wegweisungspraxis vor.
Vor der Machtübernahme der Taliban galt gemäss Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer), dass der Vollzug der Wegweisung einzig in die Städte Kabul, Herat und Mazar-i-Sharif als zumutbar erachtet wurde, und auch dies lediglich bei Vorliegen besonders begünstigender Umstände. Das SEM hat die Anordnung von Wegweisungsvollzügen nach Afghanistan am 11. August 2021 bis auf weiteres ausgesetzt. Nach einer umfassenden Analyse der Gegebenheiten in Afghanistan kam es zum Schluss, dass sich die Situation vor Ort nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 in vielen Lebensbereichen verschlechtert hat und die Anordnung des Wegweisungsvollzugs nach Afghanistan in der Regel nicht zumutbar ist. Davon ausgenommen sind schwer straffällige Personen, die zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wurden, oder Personen, die eine Gefährdung für die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz darstellen (vgl. Artikel 83 Absatz 7 des Ausländer- und Integrationsgesetzes [AIG]; SR 142.20).
Zwischenzeitlich hat sich die generelle Sicherheitslage in Afghanistan zwar verbessert. Gemäss Rechtsprechung des BVGer gilt es bei der Frage, ob von der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs nach Afghanistan auszugehen ist, nebst der allgemeinen Sicherheitslage allerdings auch die dortige wirtschaftliche, soziale und medizinische Situation zu berücksichtigen. Das SEM unterzieht die dortige Lage zurzeit einer eingehenden Prüfung. Schwerpunkt bildet dabei die Analyse der sozioökonomischen Lage, die nach wie vor schwierig ist. Gestützt auf die Resultate dieser Untersuchung wird das SEM entscheiden, ob die Anordnung von Wegweisungsvollzügen nach Afghanistan wiederaufzunehmen ist oder weiterhin ausgesetzt bleibt.
Das SEM überprüft grundsätzlich periodisch die Voraussetzungen für eine vorläufige Aufnahme. Sind diese nicht mehr gegeben, hebt es die vorläufige Aufnahme auf und ordnet den Vollzug der Wegweisung an. Aufgrund der bisherigen Ausführungen erscheint es weiterhin nicht zielführend, bei sämtlichen vorläufig aufgenommenen afghanischen Staatsangehörigen individuell zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine vorläufige Aufnahme weiterhin erfüllt sind.
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.