24.4506Motion
Familiennachzug von vorläufig Aufgenommenen erst nach Rückzahlung bereits bezogener Sozialhilfe

Grund des Vorstosses:

Vorläufig Aufgenommene sind Personen, die aus der Schweiz weggewiesen wurden, der Vollzug ist aber momentan unzulässig (Verstoss gegen Völkerrecht), unzumutbar (konkrete Gefährdung des Ausländers)  oder unmöglich (vollzugstechnische Gründe). Die vorläufige Aufnahme kann für 12 Monate verfügt werden und vom Aufenthaltskanton um jeweils 12 Monate verlängert werden. Bereits heute wird die durch Rechtsprechung (EGMR und Bundesverwaltungsgericht) festgesetzte Zweijahresfrist angewendet, obschon die Praxisanpassung auf Gesetzesebene noch nicht umgesetzt ist.

Vorläufig Aufgenommene dürfen also bereits nach zwei Jahren ein Gesuch für den Familiennachzug ihrer Familien in die Schweiz stellen. Voraussetzungen dazu gemäss Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) 
Art. 85c Abs. 1 Bst. a – c sind:
 

a. dass sie mit diesen zusammenwohnen; 

b. eine bedarfsgerechte Wohnung vorhanden ist;

c. die Familie nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist

Der Gesuchsteller soll nicht nur zum Zeitpunkt des Gesuches wirtschaftlich selbstständig sein und für die Familie sorgen können, er soll auch bereits bezogene Sozialhilfe vollständig zurückerstattet haben.

Antwort des Bundesrates:

Die Regelung der Sozialhilfe liegt in der Kompetenz der Kantone (Art. 115 der Schweizerischen Bundesverfassung [BV; SR 101]). Es hängt daher von kantonalen Bestimmungen ab, ob und in welchem Umfang von den Kantonen ausgerichtete Sozialhilfe allenfalls wieder zurückgezahlt werden muss. Das bestehende Erfordernis der Sozialhilfeunabhängigkeit beim Familiennachzug von vorläufig Aufgenommenen wird in der Praxis in der Regel dann als erfüllt erachtet, wenn die Eigenmittel das Niveau erreichen, ab dem gemäss Richtlinie der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) kein Sozialhilfeanspruch resultiert (Art. 85c Abs. 1 Bst. c des Ausländer- und Integrationsgesetzes [AIG; SR 142.20]). Dazu erstellen die Kantone nach Einreichung des Gesuchs ein fiktives Sozialhilfebudget, das das Staatssekretariat für Migration (SEM) im Rahmen der Bewilligung oder Ablehnung eines Gesuchs um Familiennachzug gebührend berücksichtigt.

 

Gemäss Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) muss bei der Gewährung des Familiennachzugs der besonderen Situation von vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen Rechnung getragen werden (Art. 74 Abs. 5 der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit [VZAE; SR 142.201]). Gemäss der Rechtsprechung des BVGer (BVGE 2017 VII/4, E. 5.2) genügt es für den Familiennachzug, wenn die  betreffende Person alles ihr Zumutbare unternimmt, um den eigenen und den Unterhalt der Familie möglichst autonom bestreiten zu können, und sie auf dem Arbeitsmarkt wenigstens bereits teilweise Fuss gefasst hat.

 

Gemäss Urteil des EGMR vom 4. Juli 2023 soll dieses Erfordernis für gewisse Fallgruppen flexibler angewendet werden. So soll bei Arbeitsunfähigen geprüft werden, ob der Gesundheitszustand des Gesuchstellenden überhaupt ermöglicht, in einem gewissen Umfang zu arbeiten. Auch bei Working Poor oder alleinerziehenden Person soll berücksichtigt werden, ob von ihnen vernünftigerweise erwartet werden kann, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

 

Die Einführung einer Rückerstattungspflicht für bezogene Sozialhilfeleistungen, um den Familiennachzug zu gewähren, würde dem in der BV festgehaltenen Grundsatz zuwiderlaufen, dass die Kantone für die Regelung der Sozialhilfe zuständig sind und damit auch für die Frage, ob und in welchem Ausmass Sozialhilfe zurückzuerstatten ist.

Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.

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